Besonders interessant finde ich Stellen im öffentlichen Raum, wo gerade noch nicht oder nicht mehr gebaut wird, oder die in spitzen Winkeln oder am Ende von irgendwas übrigbleiben. So eine Stelle gibt es in der Posthofstraße, am Ende der Gleisanlage, die früher über die alte Eisenbahnbrücke verlief, flankiert von Autobahn und Straße, am halben Weg zwischen 25er Turm und Posthof. Freilich ist das Areal keine Naturlandschaft, es wurden Gleise auf und abgebaut, Leitungen verlegt, mehrfach umgegraben und mit schwerem Gerät befahren.
Seit 2020 ereignen sich hier erfreuliche Dinge: Das afo architekturforum oberösterreich hat diesen Ort entdeckt und zu einer „Residency“ gemacht, für den mexikanischen Künstler und Architekten Ivan Juarez, der in Auseinandersetzung mit Raum, Architektur und Stadt seine Insect City entwarf. Eine Pflanzen- und Tierwelt erobert, besiedelt, benützt, braucht jetzt die Residency und erfüllt einen der Daseinszwecke der Installation.



Insect City, die Stadt in der Stadt. Es drängen mit Vehemenz Stadtbewohner ins Bild, Pflanzen und Tiere. Robustheiten, die trotzdem fragil sind: die Wiese zur falschen Zeit oder gar nicht gemäht, und es ist aus mit dem Glück an der Reibstelle zwischen Lärmschutzwand und Wildnis.



Was ich, vom Posthof kommend, ad hoc wahrnehme ist die Geräuschkulisse (Autobahn) und wie Mahnmale aufragende und liegende Holzskulpturen. Wie die alten Bauklötze meiner Kinder in Riesendimension. Je näher ich komme, desto mehr schärfen sich Details der Szene: Spalten, Löcher, Tiefen auf Oberflächen aus Holz. Asymmetrische Besiedlung durch Wildbienen und Wespen. Schütterer Bewuchs und auch wild und fett wuchernde Stellen. Zivilisationslärm, dazwischen feines Heuschreckenzirpen. Fahrrillen schwerer Lastwägen und blankes Geröll, überhaucht von Eisenkraut mit kleinen Blütchen. Neophyten, wie sie auf der ganzen Welt von Autobahnen und Gleiskörper bröseln. Und die Grabwespe Isodontia mexicana, die mit einem irokesenhaften Nestverschluss die Brut in den dargebotenen Hohlräumen der Insect City schützt. Isodontia mexicana wurde in den 1960ern in Frankreich aus Amerika eingeschleppt. Dass die Arbeit des mexikanischen Künstlers Ivan Juarez und die Grabwespe aus Mexiko ausgerechnet hier aufeinander treffen, zeigt mir, dass an jedem Ort der Welt einfach alles passieren kann. Du musst nur hinschauen.


Sich länger zu überlegen, wie, wo und wann hier gemäht werden soll, ist nur recht und würdig. Nisthilfen mit totem Rasen rundherum hat Linz in Fülle, hier geht es um Hin- und Zuwendung: selektiv mit der Sense, die immer wieder neue Mosaike herausarbeitet, einen Wechsel zwischen Altgras, zwei mal gemähten Abschnitten und offenen Stellen. Die Kunst-Stadt-Natur-Sensen-Kooperation kann nur vorbestimmt sein, oder aufgelegt. Danke an Franz Koppelstätter, Leiter des afo, der mir die Stelle gezeigt hat, und Wiesennetz Univiertel bei der Pflege mit ins Boot geholt hat.
Störrisch und rau ist hier mein Linz. Diesen Ort zu besuchen, kann ich nur empfehlen. Am besten mit dem Fahrrad (Radlweg führt direkt vorbei). Mach alle Sinne auf, achte auf die Details und staune, was sich auf 250 Quadratmetern abspielen kann. Wenn du in Insect City bei der Sensenmahd mitmachen möchtest, bist du herzlich eingeladen.
Eine Antwort zu “Insect City”
[…] durch Insect City in der Posthofstraße verlegten Arbeiter über den Sommer eine Leitung, ein Drittel der Fläche wurde umgegraben und die […]
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