Sensenmähen ist wie Paddeln, nur auf der Wiese

Steifenmahd im Winterhafen

Linzer Winterhafen beim Faltbootclub. Es schüttet, auf der einen Seite dümpelt das Donauwasser, auf der anderen ragt eine beeindruckende Geländestufe auf, oben steht das Vereinshäuschen vom Club. Von meinen Besuchen im Sommer weiß ich, dass unter der Böschung in geheimnisvollen Schlünden Boote in allen Varianten hängen, von einer Truppe an Abenteurern, die in den Flüssen wandern und sporteln.  

Einer dieser Abenteurer ist Jürgen. Ich treffe ihn heut zum Dialog, allerdings zu einer seiner anderen Leidenschaften. Er ist Sensenmäher. Mich interessiert, wie er auf die Sense gekommen ist.

Jürgen: „Ich hatte früher einen Garten, und es war, bevor ich auf die Sense umgestiegen bin, eigentlich immer stressig: wann sperrt das ASZ sperrt zu, damit ich den Grünschnitt noch los werde, vorher musste ich natürlich Rasenmähen. Es war ein ständiger Wettlauf mit der Zeit. Auf einem Steilhang verwendete ich die Motorsense, der Schotter spritzte mir beim Mähen um die Ohren. Irgendwann hab ich mir eine Sense von Verwandten ausgeborgt. Und ich war ahnungslos. Wusste weder, was Wetzen noch Dengeln ist. Bei meinen ersten Dengelexperimenten legte ich einfach die Schneide zwischen zwei Hämmer, und es ging gewaltig schief. Ich wusste nicht wirklich, was ich tat. Bei Treffen mit dem Sensenverein ist mir erst der Knopf aufgegangen. Ich lernte die saubere Mähtechnik, was eine scharfe Schneide ist, und verbrachte viel, viel Zeit mit dem Dengeln.  Ich hatte auch das Glück, bei Lehrgängen eines der „Opfer“ spielen zu dürfen, das heißt, Sensenlehrer in Ausbildung übten an mir, wie man jemandem den Umgang mit der Sense beibringt. Und viel Know How ist immer wieder bei diversen Mähtreffen dazu gekommen. Da waren schon Leut dabei, Metalltechniker usw., und da schnappst du jedes Mal Essentielles auf.“  

Jürgen mit Streusense auf Brombeerhang Maderleithnerhof Feb 2024

Du brauchst zwei Situationen: zuerst eine Scheißsense und dann eine Superscharfe. Dann weißt du, wo du hinwillst.

Viel davon kommt mir bekannt vor. Ordentlich drauf losgehackt hab ich in meiner Anfängerzeit auch,  auf einer Miniböschung, die zu mähen damals für mich ein Staatsakt war. Heut grins ich dazu, und Jürgen meint: „Du brauchst zwei Situationen: zuerst eine Scheißsense und dann eine Superscharfe. Dann weißt du, wo du hinwillst.“

Ich frage Jürgen, wo er am liebsten mäht.

Jürgen: „Mit der Sense hab ich früher den Spielrasen für meine Kinder gemäht, alle zwei bis drei Wochen schnell am Abend barfuß raus. Jetzt zieht es mich auf alle möglichen Wiesen, am liebsten auf die ohne Maulwurfshügel. Und immer mehr reizen mich auch richtig schwierige Flächen wie Steilhangwiesen mitten in der Großstadt oder in Molln. Mittlerweile hab ich gar keinen Garten mehr, weil ich umgezogen bin. Ich bin so gesehen nicht mehr Gärtner, sondern Mäher.“

Ich bin eigentlich nicht mehr Gärtner, sondern Mäher

Mäher oder Mäherin zu sein ist wie ein Titel. Er impliziert so viel. Lebensraumstifter, Bewahrer, Resoration-Law-Fulfiller, Vernetzer, Biodiversitätsmanager, Schöpfungsverantwortlicher, Artenvielfaltsaktivist.

Was hast du denn gerade an Projekten laufen, möchte ich noch wissen.

Jürgen: „Super war im Sommer auf einer Hütte in den oberösterreichischen Alpen. Ich wohnte dort eine ganze Woche mit meiner Familie, jeden Morgen hab ich mich auf den Hang gestellt und einen Teil der Wiese bei der Hütte gemäht. Am Ende der Woche war ich fertig. Der obere Teil dieser Wiese war steil wie eine Wand, meine Kinder haben sich da oben schon nicht mehr hin getraut.“

Meine Fantasie überschlägt sich. Ich sehe Menschen mitten im Draußen und ohne tägliche lange Anfahrten aus der Großstadt, freiheitsberauscht. Eine Kombination aus Reisen und Freiwilligenarbeit, ohne aus der Hilfsbereitschaft der Reisenden ein lukratives Geschäft zu machen und dort wo es wirklich gebraucht wird, zum Beispiel auf den von Nutzungsaufgabe betroffenen Wiesen.  

Wie früher die Handwerker auf der Walz

Wir philosophieren noch ein bisschen, wo es noch cool wäre, zu mähen. Jürgen sagt dazu:

„Ich stell mir richtig gut vor, einmal um eine Hallig im Wattenmeer zu mähen, um eine kleine Insel herum, wo der Wind weht. Oder im Hochgebirge, zu mehrt, auch in anderen Ländern. Eine Kombination aus Bergwandern und Sensenmähen wär auch schön, ein paar Tage mit Rucksack von Wiese zu Wiese wandern, wie früher die Handwerker auf der Walz. Da draußen gibt es tolle Wiesen. Wenn du auf einer Wiese stehst, vor dir das Gebirge, das ist schon lässig.“

Glaubst du, dass es in zwanzig Jahren mehr Sensenmäher geben wird?

„Ich glaub, dass es im urbanen Raum wichtiger wird, immer mehr interessieren sich für Artenvielfalt und lassen auch öfter Teilbereiche stehen, das beobachte ich zunehmend. Der Schlüssel ist eine gute Sense. Und du brauchst jemanden neben dir, der es kann. Es braucht da sicher Humankapital. In der Landwirtschaft sehe ich die Sense nicht mehr.“

Steifenmahd im Winterhafen

Man wird ja auch oft angesprochen, wieso man sich heut zu tage noch „Schwerarbeit“ antut.

Jürgen: „Die meisten Leut, die nur beim Gedanken ans Sensenmähen ächzen, hatten als Kinder schlechte Sensen in der Hand. Für mich ist Sensenmähen wie Paddeln, nur auf der Wiese. Ja, ich schwitze wie beim Sport. Es ist Freizeitsport, ich trainiere. Weil ich es  richtig mache, verbieg ich mich nicht. Bei mir im Faltbootsclub, das ist richtig steil. Der Hang wurde früher maschinell bearbeitet und der Mulch liegengelassen, voriges Jahr hab ich mich dieser Fläche angenommen und bin bei mir im Club beim Vorschlag, mal anders zu mähen und die Fläche Richtung artenreicher Blumenwiese zu entwickeln, auf offene Ohren gestoßen. Ich mach dort Streifenmahd, lass immer was für die Insekten stehen, und sehe sogar Eidechsen, die es hier noch gibt. Der Naturschutzbund war schon mal mit dem Batcorder hier zum Fledermäuse Bestimmen und Zählen. Hier kriegen viele Federmäuse ordentlich Futter.“

Als ich nach meinem Gespräch mit Jürgen die steile Treppe vom Clubhaus hinuntersteige, schiele ich zu besagten Wiesenstreifen, die er über den Winter stehen lässt. Oh ja, da sind sie drinnen, die Larven und Puppen und Eier von allen möglichen Tieren. Irgendwo dort könnten doch die Eidechsen schlafen, oder?

Mich bewegt die Vorstellung, wie verletzlich das alles ist, und wie behutsam Jürgens Vorgehen ist, ganz im Widerspruch zum Bild des „Sensenmannes“.

Danke Jürgen!

Profi am Werk – Jürgen dengelt beim Sensentreffen in der Sombartstraße

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